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Berge

Astrologie heute… Von allen guten Geistern verlassen?

Eine derbe Kritik für all die Nachdenklichen…



„Wie wenig Lärm machen doch die wirklichen Wunder dieser Welt – die Sonne, der Mond, die Sterne, die Bäume, die Blumen, die Kinder, ihr Lächeln – dieses Konzert der kleinen Dinge“
(Antoine de Saint-Exupéry)

Astrologie boomt. Sie ist in vielen Köpfen und auf vielen Handys, als praktische App, wo wir Erbauliches lesen können, wie: „Heute kann Ihnen ein großer Geldsegen ins Haus stehen“. Oder aber auch Beängstigendes, wie „Heute ist die Gefahr groß, in einen Unfall verwickelt zu werden“. Oder so erstaunliche Dinge wie: „Heute kann Ihnen ein Brief ins Haus flattern“: Und jetzt, zum Jahresende, kommt es in Frauenzeitschriften, Klatschmagazinen und auf Astrologie – Webseiten zuverlässig ins Programm, das große Jahreshoroskop 2023.


Dies alles gab es schon immer. Darüber kann man schmunzeln, sich für einen Moment erfreut oder auch beunruhigt fühlen. Küchenpsychologische Deutungen wie: „Wenn die Venus im Skorpion steht, kommt es zu tiefgründigen Begegnungen“ sind für den seriösen Kenner dieser Heiligen Kunst belustigend.

Doch der aktuelle Hype um die Astrologie hat eine vollkommen andere Dimension. Viele junge Menschen hören jeden Morgen den Sternzeichen-Podcast auf Spotify. Massenweise werden Astro-Apps mit schnell verdaulichen Instant-Deutungen heruntergeladen und im Freundeskreis verteilt. Die Instagram-Feeds sind voll mit astrologischen Anspielungen, neben dezidierten "Astrofluencern" beschweren sich auch Celebritys in den sozialen Medien über ungünstige Sternenkonstellationen, erzählen von Erfahrungen mit verbitterten Steinböcken, nervigen Skorpionen, potenten Löwen oder eifersüchtigen Krebsen.

Dazu kommen Hunderte Instagram-Accounts, die sich auf Memes für jeweils ein Sternzeichen spezialisiert haben. Sie tragen Namen wie "Daily Sagittarius", "Virgoholics" oder "Capricorn Content", manche von ihnen haben hunderttausende Follower. Selbst auf die Datingplattformen ist der Astrologie-Hype geschwappt. Auf vielen Profilen findet man inzwischen neben Alter und Hobbys nun auch Sternzeichen-Emojis, die offenbar Einfluss auf die Partnerwahl haben sollen.




Für jeden ernsthaften Astrologen sind die meisten Aussagen dieser Plattformen so platt wie ein Entenwalzer im Vergleich zu einer Bachkantate, wobei man sich natürlich die Frage stellen darf, ob der Mensch durch ein zu häufiges Hören des Entenwalzers für geistig höhere Oktaven in der Musik unempfänglich wird.


Doch was führt zu diesem Hype?


Wir leben am Beginn des dritten Jahrtausends in einer Zeit großer Unsicherheiten, in einer Zeit, in der alte Orientierungen wegfallen und Gegenwart und Zukunft für viele Menschen unwägbar und unsicher erscheinen und in vielen Fällen auch sind. Denn wir befinden uns in den letzten Jahrzehnten eines Menschheitszeitalters, welches mit der Industrialisierung begonnen hat. Wir könnten sagen, wir befinden uns im „Winter“ eines Gesellschaftszyklus - eine Aussage die für viele vielleicht weit hergeholt erscheinen mag, für den archetypisch – astrosophisch ausgebildeten Menschen jedoch nachvollziehbar ist.


Dieser gesellschaftliche „Winter“ begann im Jahre 2008 mit der Weltwirtschaftskrise. Und im Winter 2020 gab es eine astrosophisch bedeutsame weitere epochale Veränderung – die in der Außenwelt unter anderem als Coronakrise wahrgenommen wurde – deren Folgen sich jedoch über einen langen Zeitraum erstrecken werden. Die Zeiten werden nicht mehr, wie sie vor der Jahrtausendwende waren. Doch wer kennt sich schon aus mit Zeitqualitäten und wer wüsste sie zu beschreiben?


Und es ist, wie es schon immer war, Angst und Unsicherheit bewegen Menschen dazu, nach Orientierung zu suchen. Und in solch unsicher erscheinenden Zeiten gibt es viele Orientierungsangebote, die wie bunt-zuckrige Lollies über Instagram, Facebook und die sozialen Medien dem

nach Sicherheit und geistig-seelischem

Halt suchenden Menschen gereicht werden. Leicht verdaulich in kleinen Häppchen, versehen mit bunten Bildern, die genauso spannend wie inhaltslos sind. Und dies, gepaart mit Verheißungen der besonderen Art, denn „Birth Chart Reading“ hört sich einfach viel besser an als „Geburtshoroskop“. Juhu, Astrologie goes Instagram!


 

Verwundert schüttle ich den Kopf und fühle mich ein wenig aus der Zeit gefallen.


Und ich frage mich, was es denn in mir ist, dass ich diesen Unsinn überhaupt kommentieren möchte. Lass die Jugend doch einfach mit dem großen bunten Rührlöffel pseudo-astrologisch-esoterisches Weltendeutungsdingsbums liken. Wenn sich’s gut anfühlt, warum denn nicht?


Ganz einfach, weil ich sie liebe, diese jahrtausendealte Weisheitslehre, die uns etwas davon erzählt, was die Schöpfung gleichsam als „liber mundi“, als Buch der Natur an den Himmel gezeichnet hat. Man muss es halt nur lesen können, dieses Buch. Und weil es mich schmerzt, diese unendlich weise Welten- und Menschenkunde, die lange Zeit an Universitäten gelehrt wurde, zu geistigem Dünnschiss verhackstückt zu sehen. Da lassen sich Astro-Influencerinnen die Haare nur unter Mond im Löwen schneiden und selbstverständlich wird kein Vertrag unter einem rückläufigen Merkur unterschrieben. Spannend, dass wenn „Influence“ schon auf der geistigen Packung draufsteht, so viele dennoch zuhören.


Und weil ich es für geistig einengend und durchaus gefährlich halte, sich von diesem Deutungssystem abhängig zu machen. Natürlich ist unser Leben eingebettet in kosmische Rhythmen, in den Rhythmus von Tag und Nacht, von Ebbe und Flut, die durch die Mondphasen ausgelöst werden, sowie in den Rhythmus der Jahreszeiten. Diese kosmischen Rhythmen bestimmen auch unser seelisch-geistiges Leben, ganz gleich, ob uns das bewusst ist oder nicht. Und sie konfrontieren uns mit unterschiedlichen Empfindungen und Zeitqualitäten. Diese lesen zu können war schon immer eine Domäne berufener Astrologen.


Eine seriöse Beschäftigung mit der Sternenweisheit macht vor allem eines: sie macht frei.

Und auf gar keinen Fall abhängig. Sie ist in der Lage, dem Individuum Mensch mithilfe der Deutung seines Geburtsbildes eine Art Betriebsanleitung zu vermitteln. Oft wundere ich mich, wie viele Betriebsanleitungen von durchaus schlichten Geräten wie Geschirrspülern, Heizdecken oder elektrischen Zahnbürsten der Mensch im Laufe seines Lebens so liest. Doch die wichtigste Betriebsanleitung wird häufig nicht gelesen, die geistig-seelische Idee des eigenen Daseins, ich könnte auch sagen der Sinn oder Auftrag einer jeden Existenz.


Begreifen wir ein Geburtsbild am besten als eine Art Bauplan fürs Leben, in welchem etwas über unsere Potenziale und Möglichkeiten geschrieben steht. Dies allerdings ganz wertfrei. Denn jede astrologische Kombination kann in einer guten, bewusst verstandenen und eingesetzten Variante, doch ebenso in einer schädlichen, unbewusst oder gar missbräuchlich eingesetzten Art und Weise, gelebt werden.


Und ein seriöser Astrosoph wird keinem seiner Klienten sagen, „so oder so bist du!“. Er wird wertfrei den Bauplan der Seele übersetzen und die vorhandenen Potenziale wertfrei beschreiben. Das ist leider nicht ganz so bunt wie das Saturn-Tattoo, das sich manche stechen lassen und auch nicht so wunderbar orakelnd wie die „Magie der Taurus-Season“ manch hipper Astro-Kolumnistin.


 

Aber es ist unendlich hilfreich, den Masterplan unserer Seele zu kennen und unsere Potenziale virtuos einsetzen zu lernen. Genauso ist es aber auch möglich, sich den scheinbaren Zufällen und Widrigkeiten des Lebens einfach nur ausgesetzt zu sehen, ohne einen tieferen Sinn darin erkennen zu können.

Doch hinter jedem Leben steht ein individueller Auftrag, jedes Leben ist ein Ausdruck der Schöpfung und will als solches verstanden und gelebt werden. Und es freut mich nach wie vor, wenn Teilnehmer meiner Seminare angesichts der Lebensrhythmen, die ich ihnen aufzeige, erstaunt sind, wie passgenau ihre persönlichen Lebenserfahrungen und leider auch ihre Krisen zu bestimmten kosmischen Rhythmen passen.


Jedes Mal, wenn ich ein Geburtsbild betrachte, empfinde ich Demut angesichts der Komplexität und Individualität des Menschen, die ich hierin erkennen kann. Denn genau so wie es eine körperliche Genetik gibt, scheint es eine kosmische Genetik zu geben, nennen wir sie einmal Seelenplan. Und es ist mir Aufgabe und Berufung gleichermaßen, Menschen ihren Seelenplan, ihr wahres Potenzial ebenso wie ihre Abgründe zeigen zu dürfen.



Und – dies kann ich nach Jahrzehnten der Beschäftigung mit der Archetypenlehre der Astrosophie wahrlich sagen, kann kein Computer, keine App und ganz sicher kein Influencer. Denn was uns kein Geburtsbild vermitteln kann ist, wie der bewusste Mensch mit den Gestirnskonstellationen, die seine möglichen Potenziale und möglichen Blockaden und Fallstricke aufzeigen, vom Bewusstsein her, umgeht. Und genau deshalb braucht jeder wahre Astrosoph viele Gespräche mit seinen Klienten um herauszufinden, wie mit dem vorhandenen Potenzial umgegangen wird. Und erst dann, wenn die Struktur dieses Umgangs von Berater und Klient verstanden worden ist, können gemeinsam wirkungsvolle, erfolgreiche und bessere Einlösungsmöglichkeiten gefunden werden.


Jedes Geburtsbild ist nahezu einmalig, Jeder Lebensweg will als individueller Weg verstanden werden.


Doch aktuell scheint die Einzigartigkeit der Gestirnskonstellation zum Zeitpunkt der Geburt ein wunderbares Futter für die Egos einer hyperindividualistischen Zeit zu sein. Ist Astrologie also etwas für Narzisten oder wird sie von Narzisten betrieben? So zumindest sieht es eine Studie der Universität Lund, die Ende 2021 publiziert wurde. Die Forscher schlussfolgerten, dass gesteigerte Selbstverliebtheit ein Indikator für die Beschäftigung mit Astrologie sein könne.